Buchbesprechung von Wolfgang M. Heckl: „Die Kultur der Reparatur“

Reparatur ist der Ausgang des Verbrauchers aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit

Wolfgang Heckl klagt uns nicht, wie einst Kant in seiner Schrift über die Aufklärung, an. Er übermittelt die frohe Botschaft einer neu aufziehenden Kultur der Reparatur und macht Mut, die Dinge buchstäblich wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Reparieren macht Spaß und kann uns zu glücklicheren Menschen machen. – Dieses Versprechen gibt Wolfgang Heckl in „Die Kultur der Reparatur“ offensichtlich aus voller Überzeugung. Glaubhaft vermittelt er anhand gut nachvollziehbarer, persönlicher Beispiele: Es gibt viele Gründe, der Wegwerfgesellschaft die Stirn zu bieten und das eigene Verhalten darin zu überdenken.
Die Reparatur lohnt sich – ganz unabhängig von ökonomischen Erwägungen.

Ausgangspunkt von Heckls Überlegungen sind die Repair-Cafés, die sich derzeit überall im Land verbreiten: Orte, an denen sich Menschen treffen, um kaputten Gegenständen gemeinsam wieder Leben einzuhauchen oder selbst etwas herzustellen. Das ist ganz im Sinne des Autors, der für eine umfassende Kultur der Reparatur plädiert. Dabei argumentiert er allerdings nicht allein mit Umwelt und Ressourcenschutz, sondern stellt andere positive Effekte des Reparierens in den Vordergrund. Wenn wir – einmal abgesehen vom Dichten und Denken – zu einem Volk der Reparateure werden, könnte das einiges in Bewegung setzen:
Not macht ja bekanntlich erfinderisch. Parallel dazu beschreibt Wolfgang Heckl das Reparieren als eine anspruchsvolle, kreative und sinnstiftende Tätigkeit, die sich auszahlt. Eine Reparatur verlangt ein wohlüberlegtes, systematisches Vorgehen: Zunächst will der Fehler gefunden und eine geeignete Strategie zu seiner Behebung entwickelt werden. Ein solcher Reparaturprozess erfordert analytisches Denken, Konzentration, Geduld aber auch eine gewisse Hingabe. – Alles andere als eine stumpfsinnige Tätigkeit also.
Reparieren heißt jedoch mehr, als nur wiederherzustellen. Es bedeutet vor allem eine intensive Auseinandersetzung mit dem Reparaturgegenstand. Dabei entstehen Heckl zufolge ein tieferes Verständnis von dessen Funktionsweise und eine größere Achtsamkeit und Wertschätzung dem Produkt gegenüber. Beim nächsten Mal, so hofft er, wird man es sich deshalb zweimal überlegen, ob man etwas einfach auf den Müll wirft. Wer also etwas eigenhändig repariert, entwickelt ein neues Verhältnis zu Konsumgütern und macht darüber hinaus eine positive Selbsterfahrung:
Der reparierende Verbraucher widersetzt sich der fortlaufenden Entfremdung von Produkten und zunehmenden Entmündigung durch die Industrie und durchbricht seine Passivität. Die Reparatur ist daher gleichbedeutend mit einer größeren Selbstbestimmtheit und Autonomie der Konsumenten. Sich selbst oder anderen helfen zu können und im Zuge einer Reparatur Fähigkeiten weiterzuentwickeln und wiederzuentdecken sei am Ende eine überaus beglückende Erfahrung, die das Selbstbewusstsein ungemein stärke und sich somit auch auf andere Lebensbereiche auswirke, so der Autor. Am schönsten aber ist das Reparieren immer noch gemeinsam und kann damit auch auf sozialer und kommunikativer Ebene eine Bereicherung sein. Es kann zwar keiner alles wissen, aber trotzdem jeder Experte für etwas sein. Von einer Kultur der Reparatur gehe deshalb nicht zuletzt ein generationenverbindender Impuls aus, betont Heckl.
Er macht deutlich: Reparatur ist nicht nur gelebte Nachhaltigkeit, sie ist selber ein Erlebnis. Und das ist unbezahlbar. Ein Reparaturversuch ist in jedem Fall ein Gewinn. Selbst dann, wenn die Reparatur am Ende fehlschlägt.

Doch so mancher misslungener Reparaturversuch geht auch auf das Konto der Hersteller. Allzu oft werden dem Reparaturwilligen nämlich Steine in den Weg gelegt:
Den meisten Produkten mangelt es heutzutage an „Reparaturfähigkeit“. Häufig liegen die Ursachen im modernen Industriedesign, das einen Blick in das Innere eines Geräts in vielen Fällen von vornherein verwehrt: kaum noch offen zugängliche, handelsübliche Schrauben, stattdessen wird verklebt und verschweißt. Einem Defekt auf den Grund zu gehen ist so kaum möglich.
Doch wer diese Hürde überwunden hat und dem Fehler auf die Schliche gekommen ist, kann immer noch scheitern: Ein wichtiges Teil wie der Akku ist nicht austauschbar oder das passende Ersatzteil nicht verfügbar. Durch neue Produktdesigns werden nicht selten Inkompatibilitäten zu früheren Modellen erzeugt (Man denke nur an Handyladegeräte.). Ältere Teile sind schon bald nicht mehr erhältlich. In anderen Fällen sieht sich der Reparateur gezwungen, gleich einen gesamten, größtenteils funktionsfähigen Gerätekomplex auszutauschen, da Einzelteile daraus nicht angeboten werden. – Solche reparaturfeindlichen Geschäftsstrategien zu umgehen, ist alles andere als einfach.

Der Schlüssel für eine Kultur der Reparatur liegt folglich nicht nur beim Verbraucher. Auch die Wirtschaft muss ihren Teil dafür tun:
Die Produkte der Zukunft, so schwebt es Heckl vor, werden mit einer langen Lebensdauer und ihrer guten Reparaturfähigkeit beworben und sind darüber hinaus zu 100% recyclebar. Volkswirtschaftliche Kosten werden darauf als „Gesamtökobilanz“ ausgewiesen und so die Nachhaltigkeit gesichert. Die Industrie reagiert auf individuelle Kundenwünsche und setzt grundsätzlich auf Klasse statt Masse. Bestenfalls sind die Produkte auch nach dem Kauf anpassbar, so dass sie nicht so schnell veralten.
Abgesehen davon sollte der Hersteller Reparaturmöglichkeiten grundsätzlich direkt beim Kauf mitkommunizieren, z.B. in Form von verständlichen technischen Anleitungen und Zeichnungen oder einer Liste möglicher Fachgeschäfte und Reparaturbetriebe. – Die gibt es in einer lebendigen Kultur der Reparatur natürlich wieder an jeder Ecke.

Wolfgang Heckl hat ein weites Verständnis von Reparatur: Für ihn gehören Wartung und Pflege, Handwerk und Handarbeit, ganz allgemein das Selbermachen, aber auch das Wiederverwerten und Weiterverkaufen sowie Teilen und Tauschen dazu. Und selbst beim Reparieren muss es nicht immer gleich ein hochkomplexes, technisches Gerät mit mysteriösem Defekt sein. – Eine Schraube festziehen tut es häufig auch! Sein Buch zeigt: Eine Kultur der Reparatur fängt im Kleinen an. Sie kann aber weite Kreise ziehen und so auch im Großen einen allmählichen Wandel bewirken.

In „Die Kultur der Reparatur“ werden viele lebensnahe Ideen und Anknüpfungspunkte für den Aufbau einer Reparaturgesellschaft vorgestellt. Das Buch kann deshalb zugleich als Denk- und Handlungsanstoß dienen. Heckl präsentiert darin kein durchstrukturiertes, vollständiges Konzept einer Reparaturgesellschaft. An manchen Stellen bleibt er unkonkret, schweift ab oder reizt seine Idee etwas zu sehr aus. Außerdem wird hier konsequent Werbung für die Reparatur betrieben. Auf kritische Punkte wird kaum eingegangen. Es bleibt also viel Raum zum Weiterdenken, aber auch für Zweifel.
Das hat allerdings auch Vorteile: Denn „Eine Theorie der Reparatur“ würden vermutlich kaum jemand freiwillig zur Hand nehmen. „Die Kultur der Reparatur“ hingegen ist überschaubar, angenehm zu lesen und ein Buch, das man aufgrund seiner losen inhaltlichen Struktur auch gut mal beiseite legen kann. Die Botschaft wird trotzdem mehr als deutlich und wirkt einladend. Der Autor vermeidet es, einem mit erhobenem Zeigefinger auf die Pelle zu rücken. Stattdessen überzeugt er mit seiner eigenen, lebhaft vermittelten Begeisterung. So lässt man sich gerne für seine Idee gewinnen und schaut über gelegentlich leicht irritierende physikalisch-technische Tagträumereien hinweg. – „Die Kultur der Reparatur“ ist eben das Werk eines leidenschaftlichen Bastlers. Doch der Generaldirektor des Deutschen Museums, Herr Prof. Dr. rer. nat. Heckl, war offensichtlich auch beim Verfassen dieses Buchs voll in seinem Element und widerspricht damit entschieden dem Bild des Wissenschaftlers im Elfenbeinturm. Das sollten sich andere zum Vorbild nehmen! Bleibt zu hoffen, dass seine Leser es bis zur letzten Seite schaffen, bevor auch bei ihnen das Reparaturfieber ausbricht.