Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen

Peter M. Senge, Bryan Smith, Nina Kruschwitz, Joe Laur, Sara Schley: Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen. Heidelberg 2011 (Carl-Auer Verlag), 464 Seiten, € 49,00
Am Horizont dieses Buchs erstrahlt die Vision einer vollendeten Kreislaufwirtschaft, in der die Missstände der Gegenwart aufgehoben sind: der Raubbau an Ressourcen, der Klimawandel, die Luftverschmutzung, der Wassermangel, die überquellenden Mülldeponien, selbst die wachsende Kluft zwischen den Armen und den Reichen. Dabei will das vorliegende Werk keine Glaubensschrift sein, sondern ein Rezeptbuch mit klaren Angaben über Zutaten und Vorgehensweisen. Es bricht höchst beiläufig mit den gängigen Begriffen von Revolution. Es geht nicht um eine grundlegende Umwälzung bei den Produktionsmitteln wie bei der „industriellen R.“. Auch die politischen Strukturen bleiben im Grundzug unverändert – also auch keine „Oktober-“ oder „Novemberrevolution“. 

Die Autoren (MIT Sloan School of Management) spielen in der Oberliga der Beratungsbranche, arbeiten für die großen Akteure der Weltwirtschaft (z.B. General Electric, Nike, Coca Cola, BMW, Xerox, BP) und kennen die Widerstände und Schwierigkeiten aus reichhaltiger Praxis. Und sie verantworten selber bedeutende Erfolge für die Umwelt und das Klima – genügend gute Gründe für die Lektüre. Doch sind nicht alle Leser_innen gleichermaßen erwünscht. Der ideale Adressat, vom Rezensenten aus den Attributen quer durch das Buch konstruiert, verfügt über möglichst viele der folgenden Merkmale: Leidenschaft, Tatkraft, Aufgeschlossenheit, Pragmatismus, Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft, Misstrauen gegenüber schnellen Lösungen, Bescheidenheit, Sensibilität für ökologische und soziale Probleme, Team- und Netzwerkfähigkeit, Veränderungsbereitschaft. Die Grundhaltung sei „make it happen“ statt „oppose it happening“. In welchem Sektor man arbeitet (Wirtschaft, Staat, Verwaltung, NGO …) und als was (Student, Wissenschaftlerin, Topmanager) ist dem-gegenüber gleichgültig. 

Diese Gleichwertigkeit der Personen bedeutet aber mitnichten eine Gleichrangigkeit der Sektoren im Sinne einer partnerschaftlichen Kooperation. Bei Senge et al. herrscht ein kompromissloser Primat des Marktes und eine nur darauf gegründete Transformation – Politik spielt also keine wesentliche Rolle. Denn „erwerbswirtschaftlich orientierte Unternehmen sind die vielleicht einflussreichste Institution in der heutigen Gesellschaft.“ (S. 123) Was hier noch verhalten formuliert wird, steigert sich in den Worten eines zustimmend zitierten Managers zu einem elitären Sendungsbewusstsein. Seine „Erkenntnis“ lautet, dass „nur eine einzige Institution mächtig und einflussreich genug ist, um eine Wende herbeizuführen … und zwar diejenige, die diese Probleme verursacht hat: Die Wirtschaft. Die Industrie. Leute wie wir. Wir!“ (141) Also Revolutionierung des Kapitalismus im Kapitalismus durch das Kapital: „Gute Geschäfte machen und gleichzeitig Gutes tun.“ (131) Dies ist, wie man sehen wird, keine Floskel. 

Für Senge et al. geht es m.E. ähnlich grundsätzlich um die Wirtschaftsgesinnung wie einst bei Max Weber in seinem Werk über die „Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Webers aufstrebender Kapitalist zeigte sich durch Fleiß, Askese, Gewissenhaftigkeit u.ä. wirtschaftlich überlegen, und sein ökonomischer Erfolg konnte wiederum als Ausdruck göttlichen Segens aufgefasst werden. Auch die „notwendige Revolution“ à la Senge et al. „läuft auf eine Veränderung im Denken hinaus“ (25), auf die „Übernahme einer neuen Denkweise“ (162). Hier geht es im Kern darum, die Schonung der Ressourcen gleichsam zur Geschäftsidee zu machen. Daraus soll ein gigantischer Selektionsprozess innerhalb des Kapitalismus erwachsen, an dessen Ende die beratungsresistenten Traditionalisten auf der Strecke geblieben sein werden. Der Weg dorthin ist keine verbale Quadratur des Kreises, sondern eine ausgeklügelte Kombination von Strategien mittlerer Reichweite, die – nur langfristig und nicht mehr im Fokus der vorliegenden Abhandlung – Risiken für die Protagonisten haben. 

Der neue Geist des Kapitalismus soll die Besonderheiten und Mechanismen oligopolistischer Märkte zugleich nutzen und aushebeln. Auf solchen Märkten sind die relevanten Wirtschaftssubjekte in etwa gleich und jeweils so stark, dass niemand einen ernsten Angriff auf einen Konkurrenten riskieren kann, weil der zu erwartende Gegenschlag die eigene Niederlage bedeuten könnte. Bei den meist sehr ähnlichen Produkten spielt sich der Wettbewerb gemeinhin in der Werbung, im Marketing, in Aktionen etc. ab. Diese dynamische Stagnation brechen Stenge et al. mittels der Ideal-Adressaten im Inneren der Organisationen in einer Weise auf, die am besten mit einem ihrer Beratungserfolge verdeutlicht werden kann. 

Bei den Herstellern koffeinhaltiger Limonaden sind Variationen am Produkt tendenziell unmöglich. Einem der großen Konzerne (Firma A) drohten schwere Imageschäden, weil ein ausländisches Abfüllwerk als Verursacher des Wassermangels bei der einheimischen Bevölkerung erschien. „Die Region durchlief eine dreijährige Dürreperiode. Vielen Bauern ging das Wasser aus. Die ganze Zeit lief Coca-Colas Abfüllbetrieb reibungslos weiter. … Das Ereignis führte zu einem beträchtlichen Imageschaden, weil es Coca-Cola aus Sicht vieler Menschen zu einem Synonym für Wasserknappheit machte.“ (102) In dieser bedrohlichen Konstellation mussten Strategien für ein grundsätzlich neues Wassermanagement entwickelt werden, als deren Ergebnis die Entnahmen und die Zufuhr tendenziell ausgeglichen werden. Durch derartige Erfolge reichert sich das Firmen-Image langsam mit Komponenten von Nachhaltigkeit, Menschenfreundlichkeit, Klimaschutz u.ä an. Firma B verharrt demgegenüber bei der traditionellen Werbung mit Bildern von glücklichen Jugendlichen, dem Verschenken von Plastiktaschen und den übrigen Spielchen oligopolistischer Konkurrenz. In dieser Konstellation wird Firma A immer weitere betriebswirtschaftliche Vorteile erzielen (Absatzsteigerung, Kundenbindung, erhöhte Anziehungskraft für besonders qualifiziertes und motiviertes Personal, Entfallen unproduktiver Aufwendungen für die Neutralisierung feindlicher Kampagnen durch NGOs usw.). Spiegelbildlich schrumpft die Position von B bis hin zum Verschwinden. Wirksame Gegenmaßnahmen sind nicht möglich, weil sich ein Image sehr langsam entwickelt und somit, anders als ein neues Produkt, nicht schlagartig platziert werden kann. Am Image wird systematisch und tief schürfend verstärkt, was es im Keim immer schon ist: Waffe, die den Konkurrenten schwer verwunden und ihm allmählich die Fähigkeit zum Gegenschlag nehmen kann. Entscheidend ist jedoch, dass dem veränderten Image eine veränderte Realität zugrundeliegt. 

Struktureffekte, die primär über das Denken und den Sozialcharakter von Wirtschaftssubjekten zu Stande kommen, sind dem Rezensenten auch aus anderen Krisen bekannt. So war die Hyperinflation der 1920er Jahre das ideale Biotop für skrupellose, fixe, findige Spekulanten und Schieber – der gewissenhafte, redliche Geschäftsmann blieb auf der Strecke. In der Mangelwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gab es regelrechte Schwarzmarktkönige, die sich auf virtuose Navigation in informellen Netzwerken verstanden und mit der Normalisierung wieder verschwanden. Der „Investmentbanker“ unserer Zeit, der sich im Reich der neuartigen „Finanzprodukte“ tummelt, hat mit dem Bankier früherer Jahrzehnte kaum mehr als den Namen gemein. Ganz entsprechend wird die Umwelt-, Klima- und Verteilungskrise der Gegenwart zur Erfolgschance für Firmen, die substanziell reagieren, also kein bloßes „greenwashing“ etc. betreiben. Dies ist der Kernpunkt bei Stenge et al. und der materielle Untergrund für ihr wiederholtes Plädoyer, Vorreiter zu sein. Quer durch das Buch werden unternehmerische Standardreaktionen auf Probleme als immer wieder als Verhaltensweisen gebrandmarkt, die keine Zukunft haben. Es geht stets um Visionen eines sozial und ökologisch verträglichen Wirtschaftens. Als Akteur ist kein Moralist gefragt, sondern der durchaus betriebswirtschaftlich vorausschauende Querdenker, der im „aufgeklärten Eigeninteresse“ (137) handelt. 

Dazu sei ein Bei-Spiel („Fishbanks“) angeführt, dessen Quintessenz auch auf die Realität passt. (198 ff.) Schrumpfende Fänge werden im einzelnen Unternehmen konventionell selbst dann durch Vergrößerung der Flotte, Steigerung der Reichweite der Schiffe und Effektivierung der Fang- und Verarbeitungsmethoden zu bekämpfen versucht, wenn ihre Ursache in einer Überfischung der Meere liegt. Im Ergebnis all dieser Anstrengungen wird das Ausgangsproblem jedoch verschärft, so dass die einzelwirtschaftlichen Ziele aller Akteure kollektiv verfehlt werden („loose-loose-situation“). Der kreative Quer- und Vordenker muss dies nicht nur für sich selbst erkennen, sondern auch den eigenen Konkurrenten klar machen, dass nur die Offenlegung der Betriebsgeheimnisse und eine Einigung auf Fangquoten die Ursachen des Ausgangsproblems bekämpfen und darüber dann auch die Ertragslage der einzelnen Firma wie der Branche insgesamt verbessern können („win-win-situation“). Auf Zeit werden gleichsam planwirtschaftliche Komponenten eingebracht! 

An zahlreichen Beispielen aus meist sehr großen Unternehmen wird konkret gezeigt und oft mit Zahlen belegt, wie sehr sich ein solches Engagement für den Vorreiter rechnet. Postulate wie „Null Abfall“, „100% recycelbare Produkte“, starke Steigerung der Energieeffizienz oder extreme Senkung der Schadstoffausstöße sind hier anzuführen. Solche grundsätzlichen Analysen und Entscheidungen können durchaus mit den scheinbaren und kurzfristigen Firmeninteressen kollidieren. Nötig seien Visionen, jedoch Visionen mit „Erkenntnis der gegenwärtigen Realität“. (70) Deren Analyse ist kompetent und schonungslos – hier wird nichts „schön geredet“. Die Analysen zum Zustand der Welt in Sachen Ressourcen, Klimawandel usw. sind ähnlich scharf wie die der Kritiker. Mehr als einmal kommt das Gefühl auf, im Grundsatzprogramm einer Linkspartei oder einem radikalen Ökologenmanifest zu lesen. (30 ff., 57) 

Das Gewicht der Überlegungen von Senge et al. wird dadurch noch einmal erhöht, dass die Verf. Zugang zu den exklusiven Treffen haben, auf denen die Mächtigen der Welt unter sich sind und Tacheles reden. Die Bedeutung solcher Zusammenkünfte vergleichen sie in allem Ernst mit Ereignissen wie der Gründung der Vereinigten Staaten. Hier werden die Umweltprobleme und Polarisierung zwischen Arm und Reich in aller Härte als Gefahren für den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse diskutiert. Diese Offenbarungen verleihen dem Projekt „notwendige Revolution“ neue Schubkräfte, die nicht aus dem Ökonomischen stammen. 

Der ökonomische Schlüsselmechanismus, dass aufgeklärte Visionäre die durchaus profitträchtige Vorreiterrolle übernehmen, wird durch diverse psychische und soziale Konstellationen gefördert. Eine davon ist das Aufgreifen von Antrieben in den psychischen Apparaten der Menschen, die unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum regulär zum Tragen kommen können. Der verbreitete Ekel vor der Wegwerfgesellschaft, die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung, der Wunsch nach Konvergenz zwischen Arbeitsinhalten und persönlichem Wertekanon gehören dazu. Ähnlich bedeutsam ist die ökologische Orientierung gewichtiger Teile der Verbraucher, die über das Internet zusätzliches Gewicht erhalten. Diese kritischen Konsumenten umfassen viele Meinungsführer und Angehörige höherer Bildungs- und Einkommensschichten. „Es sind Leute, die am ehesten durch ihr Konsumverhalten reagieren, wenn Unternehmungen nicht ihren Erwartungen entsprechen.“ (133) Ohne Zutun des Kapitals, oftmals sogar gegen das Kapital, ist hier ein Bedrohungsszenarium entstanden, das Senge et al. elegant in einen Aktivposten für beratungswillige Firmen verwandeln. 

Bei ihren Bündnisüberlegungen gehen die Verf. entsprechend weit und auch unkonventionell vor. Statt z.B. Umweltschützer generell als Erzfeind mit unversöhnlich konträren Interessenlagen zu sehen, sollte nach Schnittmengen gesucht werden, auf denen eine partielle Zusammenarbeit möglich ist. Beidseitig sind die „Wohlfühlzonen zu verlassen.“ (114) Kraftzehrende Konfrontationen wandeln wie von Zauberhand in win-win-Situationen. Für die NGO können die Firmenspenden größer und bequemer als ihr übliches Spendenaufkommen; die Kräfte können auf die Kernaufgaben konzentriert werden. Für die Unternehmen ist das Geld leicht zu verschmerzen, da die Reparaturkosten für Imageschäden durchaus höher sein können. 

In der Summe werden im Konzept der „notwendigen Revolution“ vier interagierende Dimensionen erkannt und genutzt. Auf der (1) personellen Dimension exponieren sich die Akteure vom Typ „make it happen“ gegenüber dem Typ „oppose it happening“. (2) Marktmorphologisch werden die kräftigen Oligopole ins Visier genommen, die im Vergleich zu den kleineren Firmen auf zersplitterten Märkten die größere Schubkraft bringen. Dort werden (3) hellsichtige Vorreiter das Heft in die Hand nehmen, sogar Extraprofite erzielen und die Nachzügler der Konkurrenz ins ökonomische Abseits drängen. Außerhalb der Unternehmen werden (4) die Hilfstruppen aus Konsumenten und NGOs dafür sorgen, dass die Strategie der Vorreiter aufgeht. In letzter Instanz ist der gesamte Ansatz rein psychologisch-pädagogisch: im Werkzeugkasten liegen Zuwendung, Animation, geschickte Gesprächsführung und Vernetzung (174, 257, 277). Freilich spielt sich die „notwendige Revolution“ nur auf der Leitungsebene ab. Arbeiter und kleine Angestellte sowie ihre Interessenvertretungen kommen schlicht nicht vor. 

Der Idealleser vom Anfang dieser Rezension hat am Schluss der Lektüre gleichsam Zulauf bekommen – denn nicht nur er gewinnt durch die Lektüre. Auch Kapitalismuskritiker und dezidierte Umweltschützer sind gut beraten, die gedankliche Speerspitze kapitalistischen Reformdenkens kennen zu lernen. Am allerdringlichsten ist die Lektüre indes für alle, die Opfer der notwendigen Revolution zu werden drohen. 

Abschließend ist ein äußerst spannender Widerspruch zu notieren. Quer durch die Geschichte des Kapitalismus ist den Menschen eine monetär zentrierte Wertehierarchie vermittelt worden, mit der die „notwendige Revolution“ nicht gelingen kann. Die Umwälzung braucht viel mehr und ganz anderes als die Orientierung an Geldgrößen, bedarf dringendst des zuvor Unerwünschten oder gar Verbotenen. Aufgerufen werden ja die positiven und negativen Extreme in der Psychologie der Gefühle: einerseits Stolz auf die Arbeit, Freude an nützlichen Produkten, an Kreativität, am Schaffen selbst, Fürsorge bis hin zur Mutterliebe – andererseits der Ekel vor der alltäglichen Umweltverschmutzung, die als „Keulenschlag“ (324) erlebt wird. „Die Entwicklung einer inneren Orientierung, die mit der äußeren übereinstimmt, kann außerordentliche Energie und Kreativität freisetzen – Potenziale, die zuvor durch Verleugnung, innere Widersprüche und ein mangelndes Bewusstsein für die Situation und für sich selbst verloren gingen. Menschen fangen an, sich voll und ganz – individuell und kollektiv – in ihre Bemühungen einzubringen. Sie lernen, dass wir, so wie wir sind, gut genug sind, und dass wir alle einen langen Weg vor uns haben.“ (338, auch 162) 

Diese Potenziale eines nicht entfremdeten Lebens kann man nicht anknipsen, benutzen und dann ausschalten wie eine Leuchte. So gesehen, werden in einer Light-Version doch Geister gerufen, die man schwer oder auch gar nicht wieder los wird. „Die Kräfte, die auf den Erhalt des Status Quo drängen, sind gewaltig. Doch das gilt auch für die Probleme, die sich aus diesem Status quo ergeben.“ (396)