Rezension: Hermann Fischer „Stoff-Wechsel“

„Das Leben mit solaren Grundstoffen wird für uns nicht grauer und trister, sondern bunter, vielfältiger und lebendiger“ – so die Grundthese des promovierten Chemikers und Gründers der Firma Auro Naturfarben. Sein „Stoff-Wechsel“ meint eine radikale Abkehr von der erdölbasierten Chemie bei Hinwendung zur solaren: eine regelrechte Chemiewende analog zur Energiewende.
Beim Lesen wird das oft negative schulische Bild von Chemie schnell in eine neue Richtung gelenkt und ein tieferes Interesse am Thema geweckt. Die historischen Eröffnungskapitel zeigen anschaulich auf, wie sehr die gesellschaftlichen Verhältnisse durch die moderne Chemie revolutioniert worden sind. Dies sogar im doppelten Wortsinn: als Basis einer Unzahl neuartiger Produkte und großer Gefahrenpotenziale für Mensch und Umwelt.
Im heutigen Massenkonsum ist der Alltag in einem Ausmaß durch Chemieprodukte auf Erdölbasis geprägt, das den Menschen nicht immer bewusst ist. Sie alle können aufgrund der großen „Chemo-Diversität“ durch solche auf erneuerbarer Grundlage ersetzt werden, die oftmals sogar Vorteile haben. Bei seiner Analyse zeigt der Autor auch unerwartete Zusammenhänge auf: Materialgefühl etwa, ebenso ein Gespür für (Roh-) Stoffe entstehen nur in der tätigen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt – sie sind heute vielfach abhanden gekommen.
In der zweiten Hälfte seines Buches widmet sich Fischer seinem eigentlichen Thema, der „Solaren Chemie“, die für ihn im krassen Gegensatz zur oft aggressiven, gefahrenträchtigen Petrochemie steht. Exemplarisch sei die Fotosynthese mit ihrem perfekten Kreislauf ohne Abfallprodukte. Im weiteren Verlauf zählt Fischer Methoden, Vorteile, Möglichkeiten, Unterstützer und schon realisierte Beispielprodukte der solaren Chemie auf. Zu ihren Wesensmerkmalen gehört das Prinzip der Dezentralität bei überwiegend autarker Produktion und Verarbeitung, die großteils in lokalen und regionalen Strukturen stattfinden und eine natürliche Affinität zu kleineren Betrieben haben. Da Pflanzen in fast allen Regionen der Welt wachsen, kann bei ausreichender Sonnenenergie auch überall natürlicher Rohstoff produziert werden; allein deshalb ist seine Diversität enorm. Aufkommende Flächenkonkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion will Fischer mit durchdachten Maßnahmepaketen vermeiden (z.B. Rekultivierung von Wüstengebieten, Umnutzung von Weideflächen nach Verringerung des Fleischkonsums, Etagenwirtschaft in Waldgebieten).
Fischer sieht wiederkehrende Skandale, Allergien, Pannen etc. rings um die Petrochemie gleichsam als Geburtshelfer der Chemiewende: sie sensibilisieren die Bevölkerung und stärken den Wunsch nach Natürlichem. Diesem kann die Solarchemie mit einem breiten Angebot auf so gut wie allen Lebensgebieten Genüge tun.
Volkswirtschaftlich steht die Chemiewende für neue Arbeitsplätze in kleinen bis mittleren Unternehmen und für die Umkehr säkularer Trends (Bedeutungsverlust der Land- und Forstwirtschaft, Landflucht). Den gesamten Sektor von Bildung und Ausbildung stellt sie vor Herausforderungen, die im Bereich der Chemie ganz besonders groß sind. Hier sind ein grundlegendes Umdenken und ein Annehmen der historisch neuen Kernaufgabe zentral: „Die Stoffe der Natur möglichst schonend, abfallarm, störfallsicher, energiesparend und mit möglichst geringer Modifikation der natürlich entstandenen molekularen Strukturen zu behandeln und neue Wege zu finden, die gesamte Palette an erforderlichen chemisch-technischen Alltagsprodukten bereitzustellen.“
Hermann Fischers „Stoff Wechsel“ wagt eine Gratwanderung zwischen Fachchinesisch und Laienfreundlichkeit, die überwiegend sehr gelungen ist. Mit seinen Ideen und konkreten Vorschlägen ist der Autor ein Vorreiter der Chemiewende; durch sein langjähriges Engagement in der Produktion von Naturfarben ist er zugleich Pionier. Aufgrund der zahlreichen Bezüge auf den Lebensalltag kann die gesamte Leserschaft das ihre dazu beitragen, dass seine oft utopisch wirkenden Lösungsansätze schnell Realität werden. Die Widerstände der kapitalistisch verfassten (Groß-) Industrie dürften freilich deutlich größer und grundsätzlicher sein als in Fischers Sicht.